PflegeDienst 2/2020
Epidemische Notlage Mit dem Ausbruchsgeschehen der durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Krank- heit COVID-19 hat die historische Entwicklung der Substitution ärztlicher Aufgaben durch nicht- ärztliches Personal eine rasante Beschleunigung erfahren. Die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite hat den Gesetzgeber zu umfang- reichen gesetzlichen Änderun- gen für den Bevölkerungsschutz veranlasst. Das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemi- schen Lage von nationaler Trag- weite“ vom 27.03.2020 setzt auf eine optimierte Krisenreaktionen durch die Anpassung des Infek- tionsschutzgesetzes (IfSG). Vor- gesehen ist ein Bündel von Maß- nahmen, um die akute Gefahr für die öffentliche Gesundheit sowie für die sich aus dieser ergeben- den Gefährdung der Stabilität der Gesundheits-, Wirtschafts- und Sozialsysteme beherrschen zu können. Mit dem Blick auf die Handlungsermächtigung des nichtärztlichen Personals gestattet § 5a des Infektionsschutzgesetzes 7 Altenpfleger(inne)n, 7 Gesundheits- und Kinderkran- kenpfleger(inne)n, 7 Gesundheits- und Krankenpfle- ger(inne)n, 7 Notfallsanitäter(inne)n und 7 Pflegefachfrauen und -männern nunmehr die eigenständige und eigenverantwortliche Wahrneh- mung heilkundlicher Tätigkeiten. Durch diese Kompetenzerweite- rung sollen Ärztinnen und Ärzte insbesondere von Behandlungen entlastet werden, die ein ärzt- liches Tätigwerden im Ausnahme- fall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nicht zwin- gend erfordern. Voraussetzung für die vorüber- gehende Ausübung der jeweiligen heilkundlichen Tätigkeit durch nichtärztliches Personal ist die persönliche Kompetenz der jewei- ligen Person, die sich sowohl aus der Ausbildung wie den persön- lichen Fähigkeiten ergibt. Indem die gesetzliche Begründung dar- auf abstellt, dass sich die persönli- chen Fähigkeiten aus Berufserfah- rung oder aus Fort- und Weiter- bildungen ergeben können, wird – in Abgrenzung zu § 63 Abs. 3c i. V. m. § 14 PflBG – nur auf das Vorhandensein der materiellen Qualifikation abgestellt. Nicht erforderlich ist somit eine zusätz- liche formelle Qualifizierung. Entscheidend für die Über- nahme heilkundlicher Tätigkeiten sind also lediglich das tatsäch- liche Können und die persön- liche Fähigkeit im Zeitpunkt der Ausführung der betreffenden Maßnahme. Der Handelnde muss allerdings den individuellen Gesundheitszustand des Patien- ten berücksichtigen und diesen nebst der ausgeübten heilkund- lichen Tätigkeit verpflichtend dokumentieren. Erfordert der Zustand des Patienten nach seiner Art und Schwere im Ausnahmefall der epi- demischen Lage nicht zwingend eine ärztliche Behandlung, ist die Vornahme der jeweils erforder- lichen Maßnahme ausdrücklich nach dem gesetzgeberischen Willen durch die Ausnahmerege- lung von § Sa IfSG gestattet, auch wenn sie der ärztlichen Heilkunde zuzurechnen ist. Zur fachlichen Absicherung und als Grundlage weiterer ärztlicher Behandlungsentscheidungen muss der verantwortliche oder behandelnde Arzt im Nachhinein unverzüglich über die vorgenom- menen Behandlungsmaßnahmen informiert werden. Befindet sich der Patient in einem kritischen Zustand, obliegt nach wie vor dem Arzt die Handlungshoheit über die Ausübung der Heilkunde. Ausblick Die durch SARS-CoV-2 hervor- gerufene epidemische Lage von nationaler Tragweite hat enorme Veränderungen in dem recht- lichen Gefüge des gesamten Gesundheitssystems hervor- gerufen. Dem Bundesgesund- heitsministerium sind im Infek- tionsschutzgesetz weitreichende Ermächtigungen zum Erlass von Anordnungen und von Rechts- verordnungen zugewachsen, die auch in den verfassungsrechtlich geschützten Bereich der Berufs- ausübung von Ärzten und Pfle- genden hineinragen, damit die Abläufe im Gesundheitswesen und die Versorgung der Bevöl- kerung aufrechterhalten bleiben. Die Aufwertung der Handlungs- kompetenz der Pflegenden ist dabei ein elementarer Bestand- teil der neuen Architektur in der Notfallversorgung. Wenngleich die Befugnis zur Ausübung heil- kundlicher Tätigkeiten nur für die Zeit der epidemischen Lage von nationaler Tragweite festgestellt ist und der Deutsche Bundestag diesen Ausnahmemodus gemäß § 5 Abs. 1 IfSG nach dem Wegfall der Feststellungsvoraussetzungen wieder aufheben kann, sollte das notfallmäßig zugewiesene Kom- petenz- und Aufgabenprofil in der Zukunft bei den Entscheidungen beachtet werden. Die tradierte Aufgabenver- teilung im Dienst am Patienten gehört vorbehaltlos auf den Prüf- stand. Die epidemische Lage von nationaler Tragweite legt für den Gesundheitsbereich dramatisch offen, dass die Herausforderun- gen durch intensive Arbeitsanfälle mit den Instrumenten der Ver- gangenheit jedenfalls nicht gelöst werden können. Mehr Informa- tionen über das „Gesetz zum Schutz der Bevöl- kerung bei einer epidemischen Lage von natio- naler Tragweite“ unter https://bit. ly/ph-epidemie Die Regelungen zur Bewältigung der Corona-Pan- demie setzen neue Impulse in der Zusammen- arbeit zwischen ärztlichem und nichtärztlichem Personal. Praxis 17 HARTMANN PflegeDienst 2/2020
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