PflegeDienst 2/2020

Harninkontinenz sogar eine Pfle- gebedürftigkeit. Dies ist dann eine Situation, die die häusliche Pflege „zum Kippen“ bringen kann. Für jeden zweiten Umzug in ein Pfle- geheim ist Inkontinenz der Grund. tinenz ist jedoch die weitaus häufigere Form. Im Falle einer Stuhlinkontinenz ist es dann noch schwieriger als bei Harninkonti- nenz, helfend einzugreifen, weil Stuhlinkontinenz das sozial am wenigsten akzeptierte Symptom ist. Was Inkontinenz für den Betroffenen bedeutet Ein zeitgerecht einsetzendes und lebenslang mögliches Beherrschen der Ausscheidung von Harn und Stuhl ist eine wesentliche Voraus- setzung für die Gesellschaftsfähig- keit jedes Einzelnen. Dementspre- chend ist das Krankheitssymptom der Harninkontinenz gesellschaft- lich diskriminierend. Darin dürfte auch der eigentliche Schlüssel dazu liegen, warum Harninkonti- nenz trotz aller intensiven Aufklä- rungsbemühungen von Urologen, Gynäkologen, Fachverbänden und der in diesem Bereich tätigen Industrie noch immer ein Tabu- thema ist. Aus Schamgefühl wird Inkon- tinenz von Betroffenen und oft auch von deren Angehörigen möglichst lange verschwiegen, selbst dem vertrauten Hausarzt gegenüber. Sowohl pflegende Angehörige als auch Pflegefach- kräfte kennen nur zu gut die ver- schiedenen Taktiken der Betrof- fenen, mit denen Inkontinenz „versteckt“ werden soll. Das Unvermögen, die Blasen- entleerung zu kontrollieren, wird vom Betroffenen als kränkend empfunden und verletzt dessen Selbstwertgefühl. Die Folge ist häufig ein sozialer Rückzug mit Isolation und den verschiedensten Beziehungsstörungen, vor allem mit den nächsten Angehörigen. Bei einem hohen Prozentsatz Betroffener ergibt sich infolge der Ursachen und häufige Inkontinenzformen im Alter Bei normaler Blasenfunktion wird der Grad der Blasenfüllung über ein Schaltzentrum im unteren Rückenmark (A) an das Gehirn (B) gemeldet. Durch entsprechende Befehle, die nun in umgekehrter Reihenfolge vom Gehirn und vom Schaltzentrum im Rückenmark an die Blase ergehen, kann die Blasenentleerung bewusst eingeleitet werden. Vier mögliche Störungsstellen führen zu den verschiedenen Inkontinenzformen: A B 1 2 3 4 3 1 Ein schwaches Schließ- muskelsystem kann einem plötzlichen Druckanstieg in der Blase nicht standhalten, Urin geht unfreiwillig ab. Es kommt zur Stress-(Be- lastungs-)inkontinenz, die fast nur Frauen betrifft. Ursache für die Schließ- muskelschwäche ist zumeist eine Erschlaffung der Beckenbodenmuskulatur. 2 Die Blasenmuskulatur kontrahiert zu viel oder zu wenig. Kommt es zur Über- aktivität, ausgelöst durch verschiedenste Reize, ergibt sich eine Dranginkontinenz. Sie beginnt mit einer „Reiz- blase“ mit immer stärkerem Harndrang, der dann nicht mehr beherrschbar ist und zur (u.U. sturzbachartigen) Blasenentleerung führt. 4 Störungen der Übermitt- lung der Nervenimpluse zwischen Blase und Gehirn können, je nachdem, ob sie ganz gestört oder nur teil- weise beeinträchtigt sind, zu eigenständigen Formen wie der Reflexinkontinenz führen, sind aber insbeson- dere bei den Mischformen im Alter an der Inkontinenz- entwicklung beteiligt. 3 Durch eine Einengung der Harnröhre, meist durch altersbedingte Vergröße- rung der Prostata, staut sich der Urin in der Blase. Überwindet der durch die große Urinmenge aufge- baute Blaseninnendruck die Harnröhrenenge, geht Urin ständig tröpfelnd ab, was als Überlaufinkontinenz bezeichnet wird. Die Harninkontinenz ist eine „tabuisierte Epi- demie“, die aufgrund ihrer Altersabhängigkeit ungebrochen wächst und bereits heute eine der großen medizinischen, aber auch sozial- politischen Herausforderungen darstellt. Prof. Dr. med. Ingo Füsgen, Ehrenmitglied der Deutschen Kontinenz Gesellschaft Mögliche Ursachen für die Mischinkontinenz im Alter Grundsätzlich hat die Harn­ inkontinenz bei älteren Menschen die gleichen Ursachen wie bei jüngeren Menschen. Häufig fin- den sich im Alter jedoch mehrere Wissen 9 HARTMANN PflegeDienst 2/2020

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