PFLEGEDIENST 1/2024

dann, dass hochwertige körpereigene Muskelproteine über den Mechanismus der Glukoneogenese zur Energiegewinnung abgebaut werden. Dies führt schon nach kurzzeitiger Bettruhe (1 bis 2 Wochen) zu hochgradigem Proteinmangel und Muskelschwund von bis zu 500 g pro Tag. Vitamine: In ihrer Eigenschaft als Coenzyme beeinflussen alle Vitamine die Wundheilung positiv und der Mangel nur eines einzigen Vitamins kann die Heilung bereits verzögern. Vitamine des B-Komplexes beteiligen sich z. B. an der Kollagensynthese und stimulieren die Antikörperbildung und Infektabwehr. Antioxidantien wie Vitamin E und Vitamin C fangen die für die Epithelzellen toxischen sogenannten freien Radikale ab. Vitamin A wirkt bei der Kollagensynthese und -vernetzung. Vitamin C ist ebenfalls von Wichtigkeit bei der Synthese von Kollagen, aber auch von Interzellulärsubstanz, Gefäßbasalmembranen, Komplementfaktoren und Gammaglobulinen. Mineralstoffe: Bei den Mineralstoffen sind es vor allem ein Zink- und Eisenmangel, die Störungen verursachen. Zink ist ein zentraler Bestandteil von sog. Metalloenzymen mit bedeutenden biologischen Effekten im Organismus und spielt damit eine entscheidende Rolle bei der Wundheilung. Eisenmangel verursacht eine Anämie und vermindert so den Sauerstofftransport ins Wundgebiet. Ernährungstherapie bei Wundheilungsstörungen Sie hat zum Ziel, eine Umstimmung des Stoffwechsels von katabol auf anabol zu erreichen, was im Großen und Ganzen durch eine qualitativ wie quantitativ adäquate Zufuhr von Nährstoffen auch gelingen kann – insbesondere dann, wenn die primären Ursachen des Katabolismus beim individuellen Patienten identifiziert und behandelt bzw. eliminiert werden. Dies kann z. B. eine antibiotische Therapie von Infektionen, Maßnahmen gegen Vereinsamung, Behandlung der Depression oder einer Herzinsuffizienz bedeuten. Das vorliegende Nährstoffdefizit wird durch eine genaue Diagnose ermittelt, dann müssen Gestaltung und Zugangswege der Ernährung festgelegt werden, wobei grundsätzlich vier Möglichkeiten zur Verfügung stehen: das ausreichend normale Essen, eine Ernährung weitgehend oder teilweise mittels einer vollbilanzierten flüssigen Supplementnahrung in genügender Menge und Kalorienzahl, die Sondenernährung via einer PEG oder die totale parenterale Ernährung. Welche dieser Methoden gewählt wird, hängt vom Zustand und auch vom Wunsch des Patienten ab. Patientenbeispiel Dekubitus Heilungsverlauf bei einer 83-jährigen Patientin mit großem sakralem Dekubitus Kategorie III mit Umstellung von katabolen auf anabolen Stoffwechsel [1] 17. Juli – sakraler Dekubitus mit wenig bis fehlender Heilungstendenz: kein Granulationsgewebe; Ulkusränder unterminiert; keine Reaktion im Ulkusrand. Ernährungsparameter: Albumin 17 g/L; Zink 8.0 mmol/L; Lymphozyten 529/mm3. [2] 24. Juli – Heilungstendenz etwas besser: wenig rotes Granulationsgewebe; keine Epithelaussprossung aus dem Ulkusrand; unterminierter Ulkusrand. Ernährungsparameter: Albumin 20 g/L; Lymphozyten 908/mm3. [3] 25. August – das Ulkus ist kleiner geworden und die Heilungstendenz besser: mehr als 80% der Wundfläche zeigt sauberes, rotes Granulationsgewebe; Ulkusränder nicht mehr unterminiert, sondern abgeflacht; Epitheleinsprossung über die flachen Ulkusränder auf die Ulkusfläche. Ernährungsparameter: Albumin 28 g/L; Lymphozyten 1309/mm3. Der Wechsel von katabol auf anabolen Metabolismus ist eingetreten. Darauf weist das normale CRP hin. IL-1 und IL-6 sind zu diesem Zeitpunkt nicht mehr oder nur wenig erhöht. Bei der jetzt normalisierten Heilungstendenz darf die geplante chirurgische Operation am Ulkus (Rotationslappenplastik) ohne Befürchtung einer postoperativen Wundheilungsstörung durchgeführt werden. Bedarf an Nährstoffen bei Krankheit und Katabolismus im Alter – pro Kilogramm Körpergewicht und pro Tag Bedarf an Nährstoffen pro Tag beim Patientenbeispiel (Körpergewicht: 70 kg) Kalorien 30 bis 40 kcal 2800 kcal Proteine 1,5 g 105 g Fette 1,0 g 70 g Vitamin C 10 mg 700 mg Calcium 15 mg 1000 mg Zink 0,5 mg 35 mg in organischer Form Vitamin B12 Substitution parenteral, Zieldosis 10 mg gesamt oder 0,15 mg pro kg Körpergewicht innerhalb eines Monats; Intervall: alle 3 Tage 1 mg i. m. Polyvitaminpräparat1 hochdosiert 3-mal täglich dosiert2 Flüssigkeit 2000 ml, falls keine Kontraindikationen bestehen 1 2 3 1) Im Katabolismus werden viele Vitamine und Spurenelemente via Urin wegen mangelhafter Speicherfähigkeit des Organismus ausgeschieden. Es sind daher weitere, wegen fehlender Laboruntersuchungen zwar nicht nachgewiesene Defizite zu erwarten. Um diese zu beheben, empfiehlt sich die Verordnung eines Polyvitaminpräparates. 2) Zur Behebung von weiteren Defiziten, welche bei Katabolismus zu erwarten sind, aber aus Kostengründen nicht durch Laboruntersuchungen jeweils nachgewiesen werden. Quelle: Prof. Dr. med. Walter O. Seiler, ehem. leitender Arzt, Kantonsspital Basel PRAXIS 15 HARTMANN PFLEGEDIENST 1 / 2024

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