200-jähriger Geburtstag von Ignaz Philipp Semmelweis:

„Die Notwendigkeit, die Hand zu desinficieren, wird immer bleiben“

Keine 30 Jahre zählte der Deutsch-Ungar Ignaz Philipp Semmelweis, als er 1847 eine ebenso ungeheuerliche wie bahnbrechende Entdeckung machte: Keine epidemischen, d. h. „atmosphärischen, cosmischen, tellurischen Einflüsse“ verursachten das gefürchtete Puerperalfieber: Die Wöchnerinnen der I. Wiener Geburtsklinik starben „sämmtlich (an) verhütbaren Infectionsfällen von aussen“ [1], eingebracht durch die Hände derer, denen sie ihr Leben und das ihrer Kinder anvertrauten – den Ärzten.

Bevor im Abendland die „Puerperalsonne“ aufging, wie Semmelweis selbst seine Entdeckung der Ursache des Kindbettfiebers (Puerperalsepsis) nannte, vergingen viele Stunden, Tage und Monate, in denen der ungarische Gynäkologe verzweifelt versuchte, dass alltägliche Wöchnerinnensterben zu beenden.

Anders als viele seiner Kollegen, glaubte Semmelweis nicht an den „Genius epidemicus“ als Ursache des Kindbettfiebers – ein Erklärungsmodell, das atmosphärische, kosmische und aus der Erde stammende Einflüsse als Krankheitsursache annahm. Durch genaue Beobachtung und logische Schlussfolgerungen erkannte Semmelweis vielmehr den Zusammenhang zwischen den unsauberen Händen der Ärzte, die Autopsien durchführten und den lebensbedrohlichen Infektionen der Wöchnerinnen, die anschließend von jenen Ärzten untersucht wurden. Semmelweis war aufgefallen, dass die Sterbeziffer der Mütter an der I. Wiener Gebärklinik, an der er selbst tätig war, geradezu verheerend angestiegen war, nachdem 1840 – noch vor seiner Assistentenzeit – ein kaiserliches Dekret verfügt worden war. An der I. Klinik sollten demzufolge nur Mediziner ausgebildet werden, an der II. Klinik des Allgemeinen Krankenhauses hingegen nur Hebammen. Hier machte die Wöchnerinnen-Sterblichkeit im Vergleich mit der I. Klinik nur ein Drittel aus.

Leichengift als Ursache

Die eigentliche Bedeutung dieser Beobachtung wurde Semmelweis aber erst durch den plötzlichen Tod seines Kollegen und Freundes Jakob Kolletschka deutlich. Der Wiener Professor für Gerichtsmedizin nahm häufig mit seinen Schülern Sektionsübungen vor. Bei einer derartigen Übung wurde er von einem Schüler mit einem Skalpell in den Finger gestochen. Semmelweis bemerkte Ähnlichkeiten im Krankheitsverlauf bei Kolletschka und beim Kindbettfieber und nahm an, dass beide Krankheitsverläufe die gleiche Ursache hatten: „Bei Kolletschka waren die erzeugende Ursache Cadavertheile, welche ihm ins Gefäßsystem gebracht wurden. [...] Werden denn den Individuen, welche ich an einer identischen Krankheit sterben sah, auch Cadavertheile in das Gefäßsystem eingebracht?“

Semmelweis musste diese Frage bejahen. Bei der anatomischen Ausrichtung der Wiener Medizinischen Schule hatten Professoren, Assistenten und Schüler häufig Berührung mit Leichen. „Daß nach der gewohnten Art des Waschens der Hände mit Seife die an der Hand klebenden Cadavertheile nicht sämtlich entfernt wurden“, sah Semmelweis im „cadaveröse(n)  Geruch, welchen die Hand für längere oder kürzere Zeit behält“ ausreichend bewiesen [1]. Der Schluss, den der Assistenzarzt ziehen musste, war ungeheuerlich: „Bei der Untersuchung der Schwangeren, Kreißenden und Wöchnerinnen wird die mit Cadavertheilen verunreinigte Hand mit den Genitalien dieser Individuen in Berührung gebracht  [...] und dadurch bei Wöchnerinnen dieselbe Krankheit hervorgerufen, welche wir bei Kolletschka gesehen“ [1].

Arztszene um 1850
Im Mai 1847 erließ Semmelweis eine denkwürdige Verordnung: Zutritt zum Kreißzimmer der I. Klinik erhielt nur, wer sich zuvor mit Chlorina liquida sorgfältig die Hände gewaschen habe. „Wenn durch chemische Einwirkung die Cadavertheile an der Hand vollkommen zerstört werden“, so Semmelweis Vermutung, „kann die Krankheit verhindert werden“.


Die Einführung der Chlorwaschungen senkte die Mortalität der Wöchnerinnen von 30 Prozent auf drei Prozent. Doch obwohl das Massensterben in der von Semmelweis zuvor als Mörderhöhlen bezeichneten Wöchnerinnenstationen aufhörte, ging eine flächendeckende Verbreitung der lebensrettenden Hygiene nur schleppend voran. Den „Frauentod aus Männerhand“, wie Semmelweis das Kindbettfieber einmal bezeichnet hatte [2], wollten vor allem viele seiner Kollegen nicht anerkennen.


In den Jahren nach Einführung der Waschungen wurde keine einzige Publikation veröffentlicht, die Semmelweis These unterstützte [3]. Semmelweis selbst veröffentlichte erst 1861 seine Hauptschrift [1]. Dass er „seine große Entdeckung, deren Tragweite er vollständig begriff“, erst spät veröffentlichte, war nach Ansicht von Zeitgenossen seiner „Bescheidenheit“ und seinem „fast ängstlich(em) Naturell“ geschuldet [4].


Mit seinem Werk „Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers“ begründete Semmelweis die auch heute noch wichtigste Einzelmaßnahme zur Infektionsprävention. Seine Schlussfolgerung: „Die Notwendigkeit, die Hand zu desinficieren, wird [...] immer bleiben.“

Artikelquelle: Desinfacts, Ausgabe 1-2018

Quellennachweise:

1. Semmelweis, Ignaz Philipp: Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers. Pest u. a., 1861. In: Deutsches Textarchiv , S. 116, abgerufen am 26.02.2018.

2. Gadebusch Bondio M (Hrsg.). Die Hand: Elemente einer Medizin- und Kulturgeschichte. LIT;1.Aufl. 28. Dezember 2009.

3. Djakovic A, Dietl J.„Herr Hofrath hatte 13 Jahre lang recht, weil ich 13 Jahre lang schwieg“. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 103,Heft 42,20. Oktober 2006.

4. Dr. Vilmos Manninger. Der Entwickelungsgang der Antiseptik und Aseptik. J. U. Kerns Verlag (Max Müller). Breslau 1904. https://archive.org/stream/abhandlungenzur09unkngoog/abhandlungenzur09unkngoog_djvu.txt, abgerufen am 26.02.2018.