Mit großer Mehrheit hat der 121. Deutsche Ärztetag in Erfurt das Fernbehandlungsverbot gekippt und damit den Weg für neue Entwicklungen in der Telemedizin freigemacht.
Lange Wartezeiten, weite Anfahrtswege – wie schön wäre es für viele Patienten, wenn der Arzt nur einen Mausklick per Videokonferenz entfernt wäre? Telemedizin lautet hier das Stichwort und die hat in Deutschland gerade einen neuen Impuls bekommen.
Bisher galt grundsätzlich die Regelung, dass eine telemedizinische Beratung nur dann möglich sei, wenn der Patient zuvor bereits einmal Kontakt mit dem Arzt hatte. Der Videochat ersetzte also primär die Kontrollbesuche. Geregelt wurde dies in Paragraf 7 der Musterberufsordnung für Ärzte: „Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt.“ Diese Vorgabe gilt übrigens im Wesentlichen schon seit 125 Jahren, wobei sich dieser Passus in der Standesordnung für sächsische Ärzte von 1893 noch auf die Behandlung per Briefkontakt bezog.
Technisch sind wir heute also deutlich weiter und in zwei Bundesländern – Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein – wurde die Regelung von den Ärztekammern bereits gelockert, sodass nun auch eine Erstberatung über Telefon oder Video möglich ist. Nun hat auch der Deutsche Ärztetag auf seiner Tagung in Erfurt eine Änderung beschlossen und formuliert den Absatz so: „Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen."
Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.“
Das eindeutige Ergebnis war dabei nicht unbedingt zu erwarten, denn es wurde bis abends heiß diskutiert. So aber konnte sich Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer, über eine große Mehrheit freuen. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn begrüßte die Entscheidung und gratulierte Montgomery nur wenige Minuten nach der Abstimmung per SMS.
Der Vorschlag enthält allerdings noch einige Einschränkungen: Krankschreibungen bei bisher unbekannten Patienten soll es weiterhin nicht per Telefon oder Videokonferenz geben und auch keine Verordnungen ausschließlich im Rahmen einer Fernbehandlung. Nun geht es an die Umsetzung durch die Landesärztekammern. „Das wird erfahrungsgemäß noch einmal ein bis zwei Jahre dauern“, meint Montgomery, der auf eine einheitliche Regelung hofft: „Einen Flickenteppich können wir hier nicht brauchen.“
Die Patienten freuen sich schon darauf, wie eine Forsa-Umfrage für die Techniker-Krankenkasse zeigt. Jeder vierte würde mit seinem Arzt per Video-Chat kommunizieren, jeder zweite ist überzeugt, sich damit leichter mit Medizinern austauschen zu können. Insbesondere bei der jüngeren Generation liegen die Zustimmungswerte noch höher.
Aber auch die ältere Generation kann davon profitieren, wenn ihnen der anstrengende Weg zum Arzt erspart bliebe. Das gilt insbesondere auf dem Land. Kompetente Diagnostik aus der Ferne könne helfen, in strukturschwachen Regionen trotz Ärztemangels eine gute Gesundheitsversorgung sicherzustellen, meint Gisbert Voigt vom Vorstand der niedersächsischen Ärztekammer. Dies ist übrigens auch ein Thema beim HARTMANN Zukunftsforum in Heidenheim, das durch die Entscheidung des Ärztetages neue Aspekte erhält.