WundForum 3/2020

18 HARTMANN WundForum 3/2020 Praxis Schlachtfeld Wunde – der Abwehr beim Siegen helfen Die Keimbelastung von chronischen Wunden und die geschwächte körpereigene Abwehr der Patienten stehen der Wundheilung im Wege. Es ist deshalb Aufgabe der Wundtherapeuten, die biochemischen Stoffwechselprozesse in ein Gleichgewicht zu rücken und dadurch Infektionen zu vermeiden, die die Heilung zurückwerfen. Systemische oder lokale Antibiotikatherapien zählen dabei nicht unbedingt zu den Mitteln der ersten Wahl. Die sterile Wunde gibt es nicht. Unmittelbar nach der Entstehung besiedeln bakterielle Vertreter des Hautmikrobioms die Wunde – und zwar gleichgültig, ob es sich dabei um eine Schnitt- oder Schürfwunde handelt oder die Wunde als Beginn einer Operation gesetzt wird. Fremdflora wird sofort eingetragen bei verschmutzten Wunden und Tierbissen. Chronische Wunden können allmählich ein breites Spektrum an Mikroorganismen als Kolonisten ansammeln, in der Regel Eitererreger (z. B. Staphylococcus aureus), Darmkeime (z. B. Escherichia coli, Proteus-Morga- nella-Gruppe), Wasserkeime (Pseudomonas aerugi- nosa, Stenotrophomonas maltophilia) und Umwelt- keime (z. B. Acinetobacter baumannii). Wer einen Wundabstrich durchführt, mag vor dieser Fülle erschrecken. Dies ist jedoch kein Grund, eine systematische (und schon gar nicht lokale) Anti- biotikatherapie anzusetzen. Wer nämlich genau hin- schaut, wird feststellen, dass in der Regel gar keine Infektion vorliegt. Denn diese ist immer noch durch die vom römischen Arzt Celsus  1 erstmals beschriebe- nen und später von Galenus  2 ergänzten Kardinalzei- chen der lokalen Entzündung charakterisiert. 7 Dolor (Schmerz) 7 Rubor (Rötung) 7 Calor (Überwärmung) 7 Tumor (Schwellung) 7 Functio laesa (Funktionseinschränkung) Fehlen diese Zeichen, handelt es sich um keine Infe- ktion. Also: Viele potenzielle Infektionserreger, aber keine Infektion. Wieso? Bei einer akuten Wunde sorgen Thrombozyten schnell für einen provisorischen Verschluss; in und unter dem Thrombus befinden sich nur noch eine relativ geringe Menge an Bakterien. Durch Chemo- taxis werden Mastzellen auf den Plan gerufen, die mittels Histaminabgabe die initiale, durch Adrenalin und Noradrenalin vermittelte Vasokonstriktion auf- heben und so die Einwanderung weiterer Zellen, etwa Makrophagen und neutrophiler Granulozyten, erleichtern. Schließlich wird der Thrombus aufgelöst und es entsteht im Wundbereich eine Extrazellular- matrix, die es mit eingelagerten Kollagenfasern, den Keratinozyten und Fibroblasten ermöglicht, den Wundverschluss einzuleiten. In der Regel ist dieser Vorgang mit einer Entzündungsreaktion, die den pH-Wert ins Saure verschiebt und damit pathogenen Bakterien die Kolonisation erschwert, verbunden. Bei einer chronischen Wunde fehlt diese Ent- zündungsreaktion bzw. sie findet nicht in der not- wendigen Stärke statt. Dennoch ergibt sich hier ein komplexes biochemisches Geschehen, in dem auch Bakterien mit ihren Stoffwechselprodukten einen Platz haben: Durch bakterieninduzierten Proteinab- bau wird bei der chronischen Wunde der pH-Wert in den Neutralbereich oder in leicht alkalische Regionen 1 Aulus Cor- nelius Celsus (1. Jahrhundert n. Chr.) 2 Galenus „Ga- len“, zwischen 128 und 131 in Pergamon ge- boren und zwi- schen 199 und 216 in Rom ge- storben, gilt als einer der bedeu- tendsten Ärzte des Altertums.

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