WUNDFORUM 2/2021

Schätzungen zufolge sind rund eine halbe Million Menschen in Deutsch- land von einem Ulcus cruris venosum (UCV) als der schwersten Ausbildung der chronisch venösen Insuffizienz (CVI) betroffen. c 1-3 Viele Ulkuspa- tienten haben einen jahrzehntelangen Leidensweg hinter sich und fügen sich oftmals mit großer Schicksals- ergebenheit in das anscheinend Unvermeidliche. Vor allem ältere Menschen sind von venösen Ulzera betroffen, weil diese sich in jahrelangem, schleichendem Verlauf entwickeln. Dies wiederum bedeutet, dass altersspezifische Kon- stellationen die Behandlung zusätzlich erschweren können. Dennoch ermög- lichen die heutigen Erkenntnisse wirk- same Therapiekonzepte. Wie ein venöses Ulkus entsteht Innerhalb des Blutkreislaufes erfüllen Venen zwei wichtige Aufgaben: ½ Blut nach dem Stoffaustausch in den Gewebezellen zum Herzen zurückzutransportieren und ½ für die Regulierung der kreisenden Blutmenge zu sorgen. Dabei stellt der Rücktransport des Blutes aus den Beinen eine gewisse Schwachstelle im System dar, weil das Blut bei aufrechter Körperhaltung gegen die Schwerkraft, quasi bergauf zum Herzen zurückfließen muss. Um diese Aufgabe zu bewältigen, verfügen Venen über Venenklappen, die wie Ventile funktionieren und dafür sorgen, dass das Blut nur in eine Rich- tung, nämlich herzwärts, bzw. von den oberflächlichen (suprafaszialen) Venen über sog. Verbindungsvenen (Venae communicantes und Venae perforantes) in die tiefen (subfaszia - len) Venen fließen kann. Um den hohen hydrostatischen Gesamtdruck zu überwinden, der auf dem Beinvenensystem bei aufrechter Körperhaltung lastet, sind für den Blut- rücktransport weitere Hilfsmechanis- men erforderlich, wobei die Funktions- einheit der sog. Wadenmuskelpumpe die wichtigste und leistungsfähigste Transporthilfe ist: Bei Bewegung spannt und entspannt sich die Waden- muskulatur in einem rhythmischen Wechsel, wodurch die Venen zusam- mengepresst werden und das Blut nach oben gedrückt wird. Verändern sich Venen oder Venen- klappen durch die verschiedensten Ursachen (z. B. Elastizitätsverlust der Venenwände, Defekte der Venenklap- pen, Thrombosen), dann kommt es zur Verlangsamung der Blutströmung und das Blut staut sich in den Venen. Dies hat auch Aus- wirkungen auf den Stoffwechsel der Haut im Unterschenkel: Mit dem Stau sammelt sich Flüssigkeit an, Stoff- wechselendprodukte werden nicht mehr aus- reichend abtransportiert, es bilden sich Ödeme. Wird nichts gegen die Abflussstörungen unter- nommen, verschlechtert sich die Ernährungssitu- ation im Haut- und Unter- hautgewebe zunehmend – es „versumpft“ und ver- härtet sich, bis sich daraus letztlich ein Geschwür entwickelt, das Ulcus cruris venosum. Die einzelnen klinischen Erschei- nungsbilder werden unter dem Begriff der chronisch venösen Insuffizienz (CVI) zusammengefasst und übli- cherweise nach Widmer in drei Sta- dien / Schweregrade eingeteilt. Ulcera cruris exakt diagnostizieren Basis für ein (dauer- haft) erfolgreiches Behandlungskonzept ist eine exakte Dia- gnose. Sie umfasst eine gründliche Ana- mnese, die klinische und apparative Unter- suchung sowie diffe- renzialdiagnostische Maßnahmen zum Aus- schluss nicht venöser Entstehungsfaktoren. Die Anamnese als ers- ter Diagnoseschritt kon- zentriert sich auf fami- liäre oder persönliche Stadieneinteilung der CVI nach Widmer Grad I Um die Knöchel und oberhalb des Fußge- wölbes angeordnete, besenreiserartige Venen (Corona phlebectatica paraplantaris) und Knö - chelödem; ein Ödem ist die am frühesten erkennbare Folge der Entsorgungsstörung und verstärkt durch neuer- liche Druckerhöhungen die CVI. Grad II Hyperpigmentierun- gen der Haut, Unter- schenkelödem und Dermatoliposklerose (Verhärtung / Fibrosie - rung des subkutanen Bindegewebes); die wei - ßen Hautveränderungen (Atrophie blanche oder Capillaritis alba) sind eine Extremvariante der Dermatoliposklerose. Grad III Abgeheiltes oder flori- des („blühendes“) Ulkus (Ulcus cruris venosum); es tritt bevorzugt im Knöchelbereich (Bis- gaard’sche Kulisse) auf, in ca. 20 % jedoch auch an anderen Stellen des Unterschenkels und ist dann differenzialdiag- nostisch abzuklären. Die CVI kann auch nach der CEAP-Stadieneinteilung aus dem englischen Sprach- raum beschrieben werden, die von C0 bis C6 reicht. A B Querschnitt durch eine Vene (blau) A offene Venenklappe B geschlossene Venenklappe WISSEN 9 HARTMANN WUND FORUM 2/2021

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