Eine gestörte Wundheilung (engl.: impaired wound healing) liegt dann vor, wenn Wunden nicht oder sehr schlecht heilen. Solche Wunden werden chronische Ulzera genannt. Zu den häufigsten Wunden mit schlechter Heilungstendenz gehören die Hautulzera der älteren Menschen. Unter den vier typisch chronischen Ulzera – dem Dekubitalulkus sowie dem Ulcus cruris venosum, arteriosum und diabeticum – dürfte das Dekubitalulkus am weitesten verbreitet sein. Entsprechend der Häufigkeit chronischer Ulzera im Alter ist die gestörte Wundheilung und die Suche nach den Störfaktoren ein hoch aktuelles Thema der Geriatrie. Störfaktor Katabolismus Als Katabolismus wird der Abbaustoffwechsel zur bedarfsgerechten Energiegewinnung bezeichnet (siehe Infobox). In einer katabolen Phase werden chemisch komplexe Stoffe wie Proteine mithilfe verschiedenster Zytokine in einfachere Stoffe wie Aminosäuren abgebaut. Zytokine sind sog. Botenstoffe zur Signalübertragung zwischen den Zellen und zur Steuerung biologischer Prozesse. Ein Beispiel dazu: Bei geringer Energieaufnahme durch die Nahrung wechselt der Körper in eine katabole Phase mit dem Ziel, durch Zerstörung/Abbau der Muskelzellen die für den Körper (lebens)notwendige Energie bereitzustellen. Ein kataboler Stoffwechsel ist bei alten Menschen häufig anzutreffen, weil die Kombination Alter und Krankheit schneller zum Katabolismus führt als bei jüngeren Patienten. Katabolismus im Alter aber verursacht immer Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust, das Risiko der Mangelernährung (Malnutrition) erhöht sich oder die Ernährungssituation verschlechtert sich weiter, wenn bereits eine Mangelernährung besteht. Im Zustand des katabolen Stoffwechsels und der Malnutrition ist dann der Aufbau von Eiweiß (Proteinsynthese) für die Produktion von Hormonen, Enzymen und Wachstumsfaktoren sowie der Aufbau von Gewebszellen (Zellproliferation) in allen Stufen stark vermindert, sodass eine normale Wundheilung kaum stattfinden kann. Alter: ein hohes Risiko für Katabolismus Das Alter per se gilt als häufigster Risikofaktor für Wundheilungsstörungen. Denn prinzipiell kann jede Krankheit im Alter Katabolismus auslösen und so zur Malnutrition führen. Krankheit, Katabolismus und Malnutrition sind einer Therapie zugänglich, das Alter nicht. Neben Diabetes mellitus, Rauchen und Arteriosklerose, wo zusätzlich eine Vaskulopathie (Gefäßerkrankung) die Heilung verzögert oder verhindert, stellt somit die katabole Stoffwechsellage die weitaus häufigere, aber behandelbare Ursache der Wundheilungsstörungen dar. Auch die natürlichen Alterungsprozesse der Haut wie beispielsweise eine reduzierte Immunantwort sowie Zell- und Kollagenbildung wirken sich auf den Verlauf der Wundheilung aus, sodass mit einer verzögerten und qualitativ verschlechterten Reparationsleistung zu rechnen ist. Die eigentlichen schweren Wundheilungsstörungen entstehen aber wiederum im Zusammenhang mit Krankheit, Katabolismus und Malnutrition. Bei entsprechenden Grunderkrankungen und individuellen Gegebenheiten beim Patienten können aber auch jüngere Menschen in den Teufelskreis kataboler Stoffwechsel und Mangelernährung geraten. Die Folgen sind wiederum Wundheilungsstörungen, die zur Chronizität der Wunde führen oder bei bereits bestehenden chronischen Wundverhältnissen diese verstärken. Was ist eigentlich Mangelernährung? Mangelernährung oder auch Malnutrition bedeutet eine Unterversorgung mit einem oder mehreren der definierten biochemischen Ernährungsgruppen: Kohlenhydrate (Energie), Proteine (Albumin, Transferrin etc.), essenzielle Fettsäuren (Cholesterin, Triglyzeride etc.), Vitamine und Mineralstoffe. Ergibt sich ein Nährstoffdefizit, weil insgesamt zu wenig gegessen wird, spricht man von einer quantitativen Mangelernährung oder auch Unterernährung. Diese ist zumeist mit einer deutlichen Gewichtsabnahme verbunden und deshalb in der Regel schnell zu erkennen. Bei einem Body Mass Index (BMI) von weniger als 18,5 wird von einer Unterernährung ausgegangen, die diagnostisch abzuklären ist. Schwieriger ist es, eine qualitative Mangelernährung zu erkennen, die auch als Fehlernährung bezeichnet wird. Sie besteht in einem Mangel irgendeines Nährstoffes und ist demzufolge viel weniger offensichtlich als ein Gewichtsverlust. Der Betroffene kann dabei nämlich durchaus normalgewichtig sein. Mangelernährung ist ein weitverbreitetes Problem, das oft nicht genügend beachtet wird. Gesicherte Daten zur Häufigkeit von Mangelernährung in Deutschland liegen nicht vor. Aber die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat festgestellt, dass in deutschen Kliniken bis zu 30 % der Fakten zum Stoffwechsel Der Stoffwechsel oder Metabolismus steht für die Aufnahme, den Transport und die chemische Umwandlung von Stoffen in einem Organismus sowie die Abgabe von Stoffwechselendprodukten an die Umgebung. Die biochemischen Vorgänge dienen dem Aufbau und Erhalt der Körpersubstanz sowie der Energiegewinnung zur Aufrechterhaltung der Körperfunktionen. ½ Anabolismus ist der Aufbau körpereigener Bestandteile unter Verbrauch von Energie. Eine anabole Stoffwechsellage liegt beispielsweise beim Wachstum vor. ½ Katabolismus ist der Abbau körpereigener Bestandteile zum Zweck des Stoffumbaus oder der Energiegewinnung. Er ist die Reaktion des Körpers auf Belastung und immer mit einer gewissen Zerstörung von Körpersubstanz verbunden. Beide Prozesse laufen während der Lebenszeit eines Organismus fortwährend ab, aber nie gleichzeitig in einer Zelle. WISSEN 3 HARTMANN WUNDFORUM 2 / 2023
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