Im November 2023 veröffentlichte die AWMF die Aktualisierung der S3-Leitlinie zur Lokaltherapie schwerheilende und chronischer Wunden. Aber was beinhaltet die neue Leitlinie und welchen Nutzen hat sie?
„Lokaltherapie schwerheilender und/oder chronischer Wunden aufgrund von peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Diabetes Mellitus oder chronischer venöser Insuffizienz“ lautet der Titel der S3-Leitlinie, deren Aktualisierung die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) publiziert und im November 2023 in ihrem Leitlinienregister veröffentlicht.
Die Themen der aktualisierten Leitlinie
Dabei werden Empfehlungen abgegeben zu Wundauflagen und Wundbehandlung, jeweils in Abhängigkeit des klinischen Erscheinungsbildes unterschiedlicher Wunden. Einige Wundauflagen erhalten aber keine Empfehlung. Dazu zählen u. a. Wundauflagen, die Silber, Polyhexanid oder Antibiotika enthalten.
Einzelne Kapitel befassen sich mit Wunden im Alltag, mit Komplikationen wie den klinischen Zeichen einer vom Wundbereich ausgehenden Infektion, mit Allergien oder mit besonders therapierefraktären Wunden.
Das Kapitel mit adjuvanten, also unterstützenden Therapien enthält Empfehlungen z. B. zur Vakuumversiegelungstherapie, zur hyperbaren Sauerstofftherapie oder zur Behandlung mit Ultraschall oder Niedertemperaturplasma.
Die Leitlinie schließt mit Empfehlungen zur Organisation und Qualifizierungsmaßnahmen ab. Ein früher interdisziplinärer und multiprofessioneller Ansatz wird sektorübergreifend empfohlen. Empfohlen wird ebenso eine strukturierte Qualifizierung des Personals auf Basis der gültigen Leitlinien der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften und auf Basis der gültigen nationalen Expertenstandards. Dies geht einher mit der gesetzlichen Veränderung der Versorgung von Wundpatienten in der ambulanten Versorgung durch spezialisierte Leistungserbringer. Hier wurden Qualifizierungsmaßnahmen vorgeschrieben, die durch einschlägigen Fachgesellschaften umgesetzt werden. Wünschenswert wäre dies auch für die stationäre Versorgung sowohl im Krankenhaus als auch in Altenpflegeeinrichtungen.
Was kann die Leitlinie in der Praxis leisten?
Das Update der Leitlinie ist daher zwar begrüßenswert, vielen Wundbehandlern erscheint diese Leitlinie jedoch kaum geeignet, ein praxisgerechtes Instrument zu sein. Um die gesamte Versorgungsqualität zu verbessern, Wunden schneller zur Abheilung zu bringen und die Lebensqualität der Patienten zu steigern, wird vielmehr ein Instrument benötigt, welches eine strukturierte ärztliche Entscheidungsfindung im Rahmen einer Therapie von Patienten und Patientinnen mit chronischen Wunden maßgeblich unterstützt.
Die vorliegende Leitlinie erfüllt zwar formal die vorgegebenen Kriterien einer S3-Leitlinie, die identifizierte Evidenz zu den bewerteten Punkten ist jedoch leider oft sehr schwach. Daher basieren die Aussagen zum größten Teil auf der Konsensbildung der Beteiligten.
Ärzte benötigen jedoch Entscheidungskriterien für ihr zielgerichtetes und evidenzbasiertes Handeln. Ein Beispiel ist die Bewertung der schwachen Evidenz von Wundauflagen. Dies wird in der Fachöffentlichkeit seit Jahren unter diversen Ansätzen diskutiert.
Fragen, die offen bleiben
Aus dieser Betrachtung ergeben sich daher zahlreiche Fragestellungen:
- Ist eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT) immer das bestmögliche Studiendesign, auch Gold-Standard genannt?
- Sind RCTs aufgrund des multifaktoriellen Geschehens immer realisierbar?
- Welcher Evidenznachweis hinsichtlich des Nutzens einzelner Wundauflagen ist hier zielführend?
- Wie erfolgt in der täglichen Praxis die Abwägung zwischen Evidenz und geforderter individueller Entscheidungsfindung unter Berücksichtigung der Patientenziele?
Die S3-Leitlinie stellt eine Behandlungsempfehlung für Ärzte dar, ist dabei aber nicht deckungsgleich mit den Anforderungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), der beauftragt worden ist, die Erstattung von einzelnen Wundbehandlungsprodukten über den Nutzennachweis (Evidenz) zu bewerten. Diese Bewertung nimmt Einfluss auf die Erstattungsfähigkeit in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen der Bewertung des G-BA und der Bewertung der Evidenz einzelner Wundauflagen in der Leitlinie und der gesetzlichen Erstattungsfähigkeit.
Praxistauglichkeit und klinische Relevanz als Zielsetzung
Wie oben beschrieben, ist das selbst gesteckte Ziel der Leitlinie, praxisrelevante Handlungsempfehlungen nach aktuellem wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu geben und die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern und somit die Abheilungsraten zu verbessern.
Die Praxistauglichkeit und klinisch Relevanz der Leitlinie wird aktuell in der breiten Fachöffentlichkeit aber teilweise kritisch diskutiert. Es ist zu wünschen, dass in Zukunft weitere belastbare Evidenz dazu geschaffen wird. Unser gemeinsames Ziel sollten klare Handlungsempfehlungen sein, um die Lücke zwischen einem S3-Leitlinien-Niveau und den täglichen Herausforderungen mit einem praxisorientierten Nutzennachweis und zum Wohle unserer Patienten schließen zu können.
Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e. V. (DGFW) (Hrsg.) (2023). Lokaltherapie schwerheilender und/oder chronischer Wunden aufgrund von peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus oder chronischer venöser Insuffizienz. Version 2.2. Stand: 31.10.2023. AWMF-Register-Nr.: 091/001. Verfügbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/091-001 Zugriff am 22.02.2024